Hildegard von Bingen Die Seherin

 In Hildegard von Bingen

Die bekannte Bildtafel – „Die Seherin“ – ist eine Miniatur aus dem Rupertsberger „Scivias Kodex“. Diese Miniatur haben wir bei einem Besuch im Museum am Strom in Bingen fotografiert.

Hildegard von Bingen wird hier als Verfasserin ihres ersten Werkes „Scivias“ sitzend in ihrer Klause dargestellt, die Wachstafel auf dem Schoss und den Griffel in der Hand.

Der Scivias-Kodex beinhaltet 35 Miniaturen, die wahrscheinlich nach der letzten Niederschrift von Hildegards letztem Visionswerk zwischen 1160 und 1180 entstanden. Es wird vermutet, dass Mönche vom Disibodenberg oder aus dem befreundeten Kloster St. Eucharius in Trier diese gemalt haben.

Die Frauenklause im Früh- und Hochmittelalter war an dem Kloster der Mönche angelehnt. Wobei die Wohn- und Arbeitsgebäude der Nonnen durch Mauern von der Außenwelt und dem Kloster der Mönche abgeschlossen war. Die Lebensregeln folgten denen des Klosters.

Hildegard schrieb:

„Es geschah im Jahre 1141 nach der Menschwerdung des Gottessohnes Jesus Christus, als ich 42 Jahre und 7 Monate alt war.“

„Aus dem offenen Himmel fuhr blitzend ein feuriges Licht hernieder. Es durchdrang mein Gehirn und setzte mein Herz und die ganze Brust wie eine Flamme in Brand. Es verbrannte nicht, aber es war heiß, wie die Sonne einen Gegenstand erwärmt, worauf sie ihre Strahlen wirft.“

„Und plötzlich erhielt ich Einsicht in die Schriftauslegung, nämlich des Psalters, des Evangeliums und der anderen katholischen Bände sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments. Jedoch hatte ich keine Kenntnis von der Deutung der Worte ihres Textes noch von der Silbentrennung noch von der Deklination oder Konjugation.“

Wie die Werke Hildegards zeigen, ging sie aber nicht nur der Sinn der geistlichen Schriften und der Glaubenswahrheiten auf, sondern es entschlüsselte sich ihr der tiefe und sehr komplexe Zusammenhang alles Geschaffenen, aller kosmischen und geschichtlichen Wirklichkeiten.

Hildegard schrieb:

„Die Kraft aber und das Geheimnis verborgener, wunderbarer Schauungen hatte ich schon seit meiner Kindheit, d.h. seit jener Zeit als ich fünf Jahre alt war, bis in die Gegenwart auf wunderbare Weise in mir verspürt, wie auch jetzt noch.“

„Die Visionen aber, die ich schaute, habe ich weder in Träumen noch schlafend noch in Geistesverwirrung noch mit den leiblichen Ohren des äußeren Menschen noch an verborgenen Orten wahrgenommen, sondern ich empfing sie wachend und umsichtig bei klarem Verstand mit den Augen und Ohren des inneren Menschen an zugänglichen Orten nach dem Willen Gottes. Auf welche Weise das geschieht, ist für einen Menschen im Fleisch schwer zu verstehen.“

Hildegard scheute sich aus Furcht vor den Reaktionen der Menschen über ihre Visionen zu sprechen.

Gott „zwang“ sie, durch viele, harte Prüfungen, die Hand ans Schreiben zu legen.

Hildegard schrieb:

„Gebrechlicher Mensch, Staub vom Staub der Erde, Asche von Asche: rufe und sage, wie man in die Erlösung eingeht,die zwar den innersten Gehalt der Schriften kennen, ihn dennoch nicht aussprechen und verkünden wollen. Erhebe dich also,rufe und sprich, was dir durch die so starke Kraft göttlicher Hilfe kund wird.“

„Und wiederum hörte ich eine Stimme, die vom Himmel zu mir sprach: Rede also von diesen wunderbaren Dingen, und schreibe sie, auf diese Weise belehrt, nieder und berichte sie!“

Hildegard fand in dem Mönch und Magister Volmar vom Disibodenberg einen zuverlässigen, im geistlichen Leben erfahrenen Helfer. Volmar war über viele Jahre hinweg ihr Schreiber, Lehrer, Freund und „Mitwisser der göttlichen Geheimnisse“ und half ihr bei der Abfassung des Geschauten und Gehörten.

Die Miniatur „Die Seherin“ zeigt Volmar mit einem Kodex unter dem Arm in einer ehrfürchtigen und lauschenden Haltung. Es wird der Kontrast gezeigt zwischen der betonten Enge und Abgeschiedenheit der Klause und dem gewaltigen Einbruch des jenseitigen Lichtes, das für Hildegard die ganze Schöpfung ausleuchtet und ihr die prophetische Kraft gibt, die Menschen zur Umkehr zu bewegen.

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Hildegard schrieb:

„Von meiner Kindheit an bis heute habe ich diese Schau in meiner Seele, da ich doch mehr als siebzig Jahre Jahre alt bin. Mein Geist steigt je nachdem wie Gott es will, in dieser Schau bis zur Höhe des Firmamentes empor …
Was immer ich in dieser Schau sah oder lernte, behalte ich lange im Gedächnis. Ich sehe und höre und weiß es gleichzeitig, und ich lerne gleichsam in einem Augenblick das, was ich nicht weiß. Was ich aber nicht sehe, das weiß ich nicht, weil ich ungelehrt bin.“

„Die Worte dieser Vision klingen nicht so wie Worte aus menschlichem Mund, sondern sind wie eine blitzende Flamme und wie eine Wolke, die in klarer Luft dahinzieht.“

Dies ist der Beginn einer neuen Artikelserie „Hildegard von Bingen“ hier im Blog von Hildegard Center.

Literatur:
1) Wisse die Wege, Liber Scivias, Mechthild Heieck, Beuroner Kunstverlag, 2012
2) Das Leben der Heiligen Hildegard von Bingen, Dr. Monika Klaes-Hachmöller, Beuroner Kunstverlag, 2013

Autorin: Diplom Biologin Lydia Keller, Konstanz, 2014

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